+++ Vom Bergrennsport in die Rallye-Weltmeisterschaft: Claire Schönborn blickt im Gespräch auf ihr erstes Jahr im Rallyesport zurück +++
Seit ziemlich genau einem Jahr sitzt Claire Schönborn nun hinter dem Rallyesteuer und nimmt als offizielle Fahrerin des WRC Young Driver Teams an der Junior-WM 2025 (JWRC) teil. In einem Interview spricht die 26-jährige Ingenieurin über ihren kometenhaften Aufstieg in die Rallye-Weltmeisterschaft, die besonderen Herausforderungen in den vergangenen Monaten und ihre Ziele.
Claire, wo stören wir Dich gerade?
„Nach der Arbeit war ich noch kurz joggen und werde mir jetzt gleich noch eine Stunde einige Strecken der Central European Rally, dem finalen Lauf zur Junior-WM rund um Passau auf meinem Laptop anschauen, bevor ich ins Bett gehe. Ich bin kein Profi, es gilt also meinen Beruf und meine Berufung unter einen Hut zu bringen. Das ist nicht immer einfach.“
Wie groß ist diese Herausforderung?
„Um ehrlich zu sein, brutal. Ich bin als Gewinnerin des weltweiten Förderprogramms des WRC-Promoters „Beyond Rally Women’s Driver Development“ von Schweden nach Hause geflogen, alle haben sich für mich gefreut und am nächsten Tag war ich wieder arbeiten. Rallyefahren, gerade auf diesem Level, ist eigentlich ein Vollzeitjob. Es ist unglaublich, welche Vielseitigkeit in der Rallye-WM gefragt ist. So bin erst im Mai, zwei Wochen vor der Rallye Portugal erstmals auf Schotter gefahren. Ich bringe mich voll ein, versuche möglichst schnell möglichst viel zu lernen und kämpfe um jede Gelegenheit hinter einem Rallyesteuer zu sitzen. Alle meine Konkurrenten haben deutlich mehr Erfahrungen und Rallyes bestritten. Aber das schreckt mich nicht ab, sondern spornt mich nur noch mehr an. Mir fehlt die Erfahrung, Erfahrung und noch mehr Erfahrung. In der Rallye-WM ist nichts so wichtig wie das.“
Wie schwierig ist es, mehr Erfahrung zu sammeln?
„Ich denke, dass ich schon wegen meines Berufs als Ingenieurin im Fahrversuch ein gutes Grundgefühl für das Auto- und auch Rallyefahren habe. Aber drumherum ist nahezu alles neu für mich, angefangen von der Zusammenarbeit mit einem Copiloten, dem Erstellen der Streckennotizen, bis hin zu den Details bei der Fahrwerksabstimmung, der optimalen Reifenwahl und so weiter. Ich bin vor ziemlich genau einem Jahr meine allererste Rallye gefahren und vor meinem ersten WM-Lauf bei der Central European Rally nur zwei kleineren Rallyes und das mit unterschiedlichen Beifahrerinnen auf völlig verschiedenen Autos. Dass ich bei meinem WM-Debüt zeigen konnte, was in mir steckt und mich gegen zwei Fahrerinnen mit deutlich mehr Rallyeerfahrung behaupten konnte, war schon ein kleiner Traum. Seither habe ich sehr viel dazugelernt und werde weiter alles dafür tun, dass ich besser und schneller werde.“
Wie muss man sich das vorstellen?
„Beim Beyond-Programm habe ich eine Saison, also fünf WM-Rallyes in der Junior-WM gewonnen. Dazu gehört jeweils ein Test vor dem eigentlichen Event, meist so um die 50 Kilometer. Alles andere muss ich mehr oder weniger selbst organisieren und finanzieren. Das kostet Geld und Zeit. Ich habe in meiner noch jungen Karriere früh gelernt, dass man zwar Prioritäten setzen muss, dabei aber nicht vergessen sollte, an allen Bereichen zu arbeiten, auch und gerade jene die mit geringeren Kosten verbunden sind.“
Jetzt sind wir gespannt.
„Das geht bei der Ernährung und der Fitness los. Bei Letzterem habe ich in den vergangenen Monaten sowohl bei der Ausdauer, der Kraft und auch der Koordination ordentlich zugelegt. Desweiteren habe meine Augen messen lassen und trage, vor allem beim Fahren, wie übrigens viele Toppiloten, eine Brille. Hinzu kommt spezielles Seh- und kognitives Reaktionstraining. Gerne würde ich im Winter auch eine Schlafanalyse machen. Es gibt viele Bereiche in denen man sich verbessern kann, aber ganz oben steht natürlich die speziellen Anforderungen eines Rallyefahrers. Oft sitze ich zuhause an meinem Simulator oder arbeite an meinen Streckennotizen. Noch sind wir keine Profis, es ist also noch nicht so, dass ich mich einfach in ein Rallyeauto setzen und trainieren kann. Man sollte schon auch wissen, dass ich, abgesehen von einer kleinen Seitwärtsrolle in Portugal, noch nie einen Unfall hatte, also nie am absoluten Limit unterwegs war – schlicht, weil ich jeden Kilometer mitnehmen will und es mir auch nicht leisten kann.“
Wie läuft die Zusammenarbeit mit deinem Copiloten Michael Wenzel?
„Hervorragend! Mit Michael habe ich einen riesigen Schritt nach vorn gemacht. Seine Erfahrung ist Gold wert. Klar, er sitzt nicht am Steuer, in dieser Hinsicht will und muss ich mich selbst weiterentwickeln. Aber seine enorme Erfahrung als Beifahrer angefangen bei den Streckennotizen, über die ganzen organisatorischen Dingen vor und während einer Rallye, sein Input bei den Themen Ernährung und Fitness und dazu, wie man eine Rallye taktisch angeht – das sind alles Aspekte, die mich mit seiner Erfahrung wesentlich nach vorne gebracht haben.“
Für den finalen Lauf in der Junior-WM kehrst Du zur Central European Rally zurück. Wie bereitest Du Dich vor und was hast Du Dir vorgenommen?
„Keine Frage, ich freue mich riesig darauf, es ist schließlich meine Heimveranstaltung. Und klar, ich verspüre einen positiven Druck. Auch weil es die erste Asphaltrallye seit der Central European Rally in vergangen Jahr ist. Aber als Bergrennfahrerin und Fahrinstruktorin auf der Nürburgring-Nordschleife taugen mir Asphaltpisten, da komme ich her und das kommt mir hoffentlich auch entgegen. Auf der anderen Seite haben meine direkten Konkurrenten einen enormen Erfahrungsvorsprung – deshalb wäre ein Platz im vorderen Mittelfeld ein großer Erfolg. In Finnland hat man gesehen, wie dünn die Luft in der Junior-WM ist. Auf den besonders kniffligen und extrem schnellen Passagen waren wir nur knapp eine Sekunde pro Kilometer langsamer als die Klassenschnellsten, die viel mehr Erfahrung auf Schotter haben und dort zum Teil schon drei oder gar viermal gestartet sind. Aber am Ende sind eben alle WM-Junioren ins Ziel gekommen. Da wird von außen dann eher auf die Platzierung geschaut als auf den eigentlichen Abstand. Das ist zwar schade und wird unserer Leistung vielleicht nicht gerecht, aber so ist der Sport. Damit muss und kann ich umgehen. Bei der CER will ich zeigen, dass so jemand wie ich das kann. Ich will einfach begeistern, die Fans an der Strecke, meine Unterstützer, Familie und auch Michael und mich selbst. Ja, ich liebe das Rallyefahren, will weitermachen und es auch weit bringen. Ich hatte bisher nur einen Plan A und dabei bleibt es. Ich kämpfe dafür, dass diese unglaubliche Reise weitergeht.“
Die nächsten Junior-WM-Termine
16.–19. Oktober 2025 – Central European Rally (D, A, CZ)